IMHO :-) Zeitforschung 
 

Schwere Stunde

Tagungsreporter Enrico Scottini über ein internationales Symposium im schwäbischen Bad Enverboten. Diskutiert wurde eines der letzten großen Menschheitsrätsel:
die schlichte Frage "Wie spät ist es?"

Aus müden Augen starrt die
weltweite Garde der Sinnsucher
und Philosophen auf den Redner
Nr.251: den Koreaner Sum Herum,
der weitschweifig über die Augen-
stellung von Turmfalke und Schlei-
ereule doziert, und auch die Riege
hochdekorierter Physiker lauscht
aus müden Ohren.

Erst nach der Hälfte seines Vor-
trags wird klar, daß sich Sum He-
rum auf der falschen Veranstal-
tung wähnt. Ein anderes Sympo-
sium mit dem programmatischen

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Titel: "Wie späht?" befindet sich
im Tagungsgebäude nebenan
und beschäftigt sich mit den Seh-
techniken nachtaktiver Raubvögel.

Kein Wunder: Nach diesem
viertägigen Wissenschaftsmara-
thon kann kaum noch jemand den
Vorträgen folgen, und nur über ei-
nes sind sich die Forscher einig,
der endgültigen Beantwortung der
uralten Frage "Wie spät ist es?"
oder wie der Volksmund fragt:
"Wie spät?" um keine Millise-
kunde nähergekommen zu sein.

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Entzündet hatte sich dieses die
mathematisch-physikalische Zunft
verstörende Problem an der An-
fang der Neunziger im Wissen-
schaftsmagazin "Science" geäu-
ßerten Vermutung, daß auf man-
che einfachen Fragen im Zusam-
menhang mit der Zeit eindeutige
Antworten nicht möglich sind.
Während die Frage "Was ist die
Uhr?" eine klare Antwort zuläßt, ist
dies bei der sinnverwandten Frage
"Wie spät ist es?" nicht möglich,
gleichgültig ob man sie ungenau
"Wie spät ist es manchmal irgend-
wann am Nachmittag?" oder präzi-
se "Wie spät ist es jetzt?" formu-
liert.

Zu voreilig war die Lösung, die
kanadische Statistiker am ersten
Tag des Symposiums anboten:

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Aus einer repräsentativen Umfra-
ge an 2466 Personen glaubten sie
herausgefunden zu haben, daß es
statistisch gesehen immer 6 Uhr
sei, woraus sie dann folgerten,


Statistisch korrekte Uhr:
Sechs von morgens bis abends

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daß alle Uhren im Schnitt
um drei Stunden falsch gingen.

Wenig hilfreich war auch die Er-
klärung des russischen Atomphysi-
kers Michail Botwinnik, "daß das
Produkt aus Gewicht mal Länge
einer Sekunde konstant sei", da er
über das genaue Gewicht einer
Sekunde nur vage Angaben ma-
chen konnte und sich stattdessen
in psychologisch-physikalische Er-
läuterungen flüchtete. Das Gewicht
einer Sekunde sei jedem sinnlich
erfahrbar, der schon einmal "eine
schwere Stunde" erlebt habe.

Doch nun am vierten Tag ist
das Durcheinander perfekt. Der
Vortrag des Chilenen Miguel Cal-
doso es sei "meistens Viertel vor
oft aber auch Zehn nach" zeugt nur

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noch von der Ratlosigkeit der inter-
nationalen Forscherriege, und er
wird unterbrochen durch wütende
Zwischenrufe des englischen
Chronologen Sir Mortimer häufiger
noch sei es "after eight" (Irgendwie
abends).

Glücklicherweise wird dann end-
lich der Dalagein Lama angekün-
digt. Von diesem Buddhistischen
Philosophen erhofft man sich Wei-
sung und Erleuchtung. Als er milde
lächelnd hinter das Rednerpult
schwebt, legt sich die Unruhe, und
er spricht: "Ein Narr kann tausend-
mal mehr verschiedene Antworten
geben, als ein Weiser Fragen stel-
len kann! - Zumindest dann, wenn
es sich um die hier behandelte
Frage handelt, der Weise diese
Frage tausendmal stellt und der

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Narr eine Uhr trägt!"

Ja! Das ist wirklich wahr!

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