IMHO :-) Musikindustrie 
 

Irgendwie "echte" Kultur

Die Unterhaltungsindustrie endeckt neue alte
Recyclingmöglichkeiten für Klassische Musik. Ein Bericht
aus den Gefilden der Lightkultur von Dirk Kuchel

Irgendwann vor etwas mehr als
einem Jahr vielleicht müssen die
zwei in einer schummrigen Ka-
schemme zusammengehockt und
die Verschwörung geplant haben.

Auf der einen Seite der blonde
Jüngling, multilingual begabt und
verdammt zum perfekten Schwie-
gersohn. Auf der anderen der rei-
fere Mittvierziger, noch immer mit
wallender Künstlermähne und dem
Zeug zum Trennungsgrund für jede
Hausfrau der Welt. "Du Helmut",
raunte der eine dem anderen zu,
"ich habe da eine klasse Idee, um
den Leuten mit wenig Aufwand
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das Geld aus der Tasche zu zie-
hen." Da wurde der Helmut hellhö-
rig und kämmte sich aufgeregt die
Haare.

Es dauerte nicht lange, und der
Plan für die musikalische Sensa-
tion war perfekt. Seither geigt An-
dré Rieu sich halb wahnsinnig und
Helmut Lotti goes schlicht überall-
hin. Erst goes er Classic, dann
Classic II, jetzt Romantic und wenn
das Publikum so weiterkauft, dann
sicherlich auch bald Malediven.
Wer bisher kaum für möglich ge-
halten hatte, daß man mit so derb
durchgekauten Kamellen wie
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"Amazing Grace" noch in den Him-
mel gelobt wird, dem tritt in diesen
Tagen der Angstschweiß auf die
Stirn. Auch der André verpasst kei-
ne Gelegenheit, um dem Volk mit
seinem debil grinsenden Orche-
ster zu suggerieren, sein Gefiedel
sei irgendwie "echte" Kultur.

Dabei spielt er letztlich nur den
Best of Classic Sampler runter,
den es bei Hertie schon seit zwan-
zig Jahren zum Selbstkostenpreis
gibt - nur das Herr Rieu dafür aus
unerfindlichen Gründen das Sechs-
fache haben möchte. Mal eben ein
Weihnachtskonzert geben - o.k.,
aber inzwischen spielt er auch zum
Winterschlußverkauf und einfach
nur weil Mittwoch ist. Garantiert
feixt er sich darüber ebenso einen
wie Kollege Lotti, dessen PR-Ma-
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nager offenbar kurz auf dem Klo
war, als es galt, einen zugkräftigen
Künstlernamen zu finden.

Musikgenie Beethoven:
Weichspülmäßig verschwurbelt

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Sicherlich, hier schwingt vielleicht
ein übler Geruch von Mißgunst
meinerseits mit. Tatsächlich ärge-
re ich mich, daß ich damals beim
Blockflötenunterricht nicht besser
aufgepasst und mit "Dirk Kuchel
goes Blockflöte" den großen Rei-
bach gemacht habe. Nun ist es zu
spät. Lotti und Rieu haben die
Welt in ihre Einflußsphären aufge-
teilt. Man hätte das Potential ah-
nen können. Denn schon in den
frühen Achtzigern gab es den
Grandsegnieur dieser Masche.

Erinnern wir uns an Richard
Claydermann, der mit seinem Ge-
klimper die Hitparaden stürmte.
Mehr als Rieu und Lottchen konnte
der auch nicht. Gottseidank ist er
in totaler Vergessenheit versun-
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ken, wahrscheinlich am Klavier er-
stochen worden. Doch Rieu und
Lotti sind weiter aktiv, und ich bin
mir sicher, daß ein Duett zwischen
den Beiden schon beschlossene
Sache ist.

Nur um dieser Kolumne noch
schnell eine persönliche Note zu
geben, erlauben sie mir bitte eine
kleine Anekdote aus meinem küm-
merlichen Leben: Es war am Ende
des Sommers, als ich zwecks Er-
holung vom vielen Schreiben in
mein kleines ostholsteinisches
Heimatdorf mit dem klingenden
Namen Altenkrempe fuhr. Das
Dorf schwitzte unter dem Sommer-
regen - nur unsere schnucklige Kir-
che war von oben bis unten einge-
schäumt mit Schnee-Imitat. Was

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glauben sie für wen? Für die Auf-
zeichnung von André Rieus Weih-
nachtskonzert. Ich weinte leise.

weiter weiter
Satireinhals Satireinhals

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